Vespa auf vier Rädern

 
 Vespa400: Mit zwei Zylindern, zwei Takten, zwei Plätzen trat der Italofranzose gegen Fiat und Autobianchi an.

 

Der Kleinstwagen Vespa400, der im Oktober 1957 auf dem Pariser Salon erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickte, war ein richtiges Kind des gemeinsamen europäischen Marktes. Es wurde von italienischen Konstrukteuren im toskanischen Pontedera aus der Taufe gehoben und in Paris in Serie gefertigt. Ab 1958 konnte man den zweisitzigen Straßenfloh, der nicht mehr Steuern als ein Großstadtdackel kostete, auch in Deutschland kaufen. Allerdings traf er hier auf übermächtige Konkurrenten. "Schuld" an der Neuentwicklung war der Vespa-Motorroller gewesen, der bei Regen und Kälte fehl am Platze war und dem darum ein in Preis und Unterhalt günstiger Kleinstwagen zur Seite gestellt wurde. Er zielte vor allem auf jene, die bislang einspurig vorwärts zu spurten pflegten und nun den Wunsch nach einem Klassenaufstieg verspürten. Sein Debüt hatte das neue Vehikel der Vespa-Gruppe im Oktober 1957 auf dem Pariser Autosalon. Äußerlich gefällig und kompakt gebaut, glich das zweitaktende Wägelchen dem Fiat 500 und dem alten Topolino, wenn auch der selbsttragende Aufbau der Vespa-Voiturette moderner aussah. Fahrer und Beifahrer nahmen auf zwei Einzelsitzen Platz, während sich auf der "Sitzbank" im Heck allenfalls zwei geduldige Kinder unterbringen ließen. Etwas Linderung brachte ihnen die Sommerzeit, wenn endlich das praktische, serienmäßige Rolldach geöffnet werden konnte: Es brauchte einfach nur zurückgerollt und durch zwei Gummispannlaschen festgehalten zu werden, um allen Vespa400-Insassen das gar nicht so untrügerische Gefühl zu vermitteln, in einem richtig flotten Cabriolet zu sitzen.

 

 

 

 

 

 

 

"Der Vespa400 besitzt Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten wie bei großen Zweitürwagen", schwelgte die Piaggio-Marketingabteilung und pries ihre Kleinstwagen als ideale Stadtwagen. Dank mehrjähriger Vorbereitungszeit kam der Vespa400 ohne wesentliche Kinderkrankheiten auf den Markt. Um nicht mit dem Turiner Fiat-Konzern, mit dem es zahlreiche Formen geschäftlicher Zusammenarbeit (und auch Verbindungen familiärer Natur) gab, aneinanderzugeraten und dessen 1957 eingeführtes Modell 500 in Italien direkte Konkurrenz zu machen, zog es die Vespa-Gruppe vor, ihren Neuling auf fremden Boden zu produzieren, nämlich bei den Ateliers de Construction de Motocycle et d'Accessoires (ACMA) im nahe Paris gelegenen Städtchen Fourchambault (Nièvre). ACMA war Ende der vierziger Jahre von Unternehmer Enrico Piaggio sowie einer Gruppe gallischer Investoren aus der Taufe gehoben worden, die sich kurz zuvor günstig Anteile der Société Nationale de Construction Aéronautique du Centre(SNCAC), eines defizitären Staatsunternehmens, sichern konnten und es privatisierten. Die ACMA-Direktion saß in Paris, und die Geschäfte wurden von dem 29jährigen Prinzen Beauveau-Craon geführt. Zunächst einmal nahmen die ACMA-Werkstätten 1950 die Lizenzproduktion von Vespa-Rollern auf. Rund 300 Mitarbeiter schraubten aus Italien gelieferte Bausätze zu kompletten Vespas zusammen, bis 1952 nur noch französische Komponenten verbaut wurden. Die Geschäfte liefen blendend, und schnell wuchs die Belegschaft auf 700 Personen an, die übrigens über beispielhafte Sozialeinrichtungen wie Werkswohnungen, Kindergärten, Sportplätze und Ferienheimplätze verfügen durften.
 

 

   

 1953 stellten die solcherart motivierten Arbeitnehmer bereits 40.800 Motorroller auf die Räder. Im Spätherbst 1957, als die Fließbandfertigung des kleinen Vespa-Autos anlief, verließen parallel dazu täglich 260 Zweiräder das Werk. ACMA plante einen Tagesausstoß von mindestens 100 Kleinwagen; doch ließen sich letztendlich nur insgesamt 28.000 Wagen verkaufen. Potentielle Kunden gaben "vollwertigen" Viersitzern a la Citroen 2CV oder Renault 4CV den Vorzug. Autokäufer wollten mit ihrem fahrbaren Untersatz ja auch einmal in die Provinz aufbrechen - der Vespa400 galt jedoch in ihren Augen als ausgesprochenes Stadtfahrzeug. Nein, das Wägelchen traf Ende der fünfziger Jahre nicht den Nerv der motorisierungssüchtigen Bürger, die sich noch weit entfernt vom Verkehrsinfarkt der Großstädte wähnten. Darum unternahm das Vespa-Werk einige Anstrengungen, um die Langstreckentauglichkeit ihres Mobils zu untermauern. So gingen 1959 drei Vespa400 als hubraumkleinste Teilnehmer an den Start der Rallye Monte Carlo. Sie fuhren in der Klasse bis 1000 ccm und kamen auf einen Stundenschnitt von 65 km/h! Vom Startort Stockholm bis hinunter an die Mittelmeerküste begleitete sie Staunen und Begeisterung. Respekt, Respekt: Von den 322 Teilnehmern erreichten nur 220 das Ziel - unter ihnen die drei Vespa-Wagen mit den Startnummern 234, 235 und 285.

 

 Seine Nehmerqualitäten stellte der Italofranzose im gleichen Jahr bei einer Langstreckenfahrt Paris - Moskau und retour unter Beweis: Die Distanz von 7214 Kilometern legte der von zwei Journalisten pilotierte Kleinwagen aus Fourchambault mit durchschnittlich 63,3 km/h zurück - ohne eine einzige Panne (nur die Scheibenwischer mußten ersetzt werden - sie waren schlicht und einfach gestohlen worden). Für die 3223 Kilometer lange Hinfahrt wurden 63 Stunden benötigt (davon zwölf Stunden Wartezeit an den Grenzen sowie Tankstopps). Der Gesamt-Durchschnittsverbrauch betrug übrigens lediglich 5,8 Liter/100 km. Auf bundesdeutschen Straßen zeigte der Vespa400 ab 1959 Flagge. Den Vertrieb übernahm die Augsburger Vespa GmbH, in deren Werkshallen auch Roller gefertigt wurden. Der vierrädrige Sproß der Vespa-Familie kam komplett aus Frankreich. Er hatte es nicht leicht hierzulande, mußte der fast 14-PS-Wagen doch gegen Konkurrenten wie das Goggomobil, die BMW Isetta und den NSU Prinz antreten. Zwar gefiel der Vespa400 formal, aber für deutsche Verhältnisse schien das 360 kg schwere Leichtgewicht zu primitiv gestrickt. Viele Interessenten beklagten überdies den recht hohen Kaufpreis. Bei seiner Markteinführung betrug dieser einschließlich Heizung 3890 Mark, dann - weil zu diesem Preis nicht absetzbar - 3490 Mark und zuletzt nur wenig über 3000 Mark. Doch auch dafür ließ sich das Roller-Derivat kaum verkaufen: Die Tage des Rollermobils Ende der fünfziger Jahre waren längst und überall gezählt. Der Verbraucher wollte, und zwar sofort, mehr Leistung und mehr Bequemlichkeit. Auch die Vespa400-Absätze fielen in den Keller, und die hehren Erwartungen der Geschäftspartner in Paris und Pontedera an die deutsche Vertriebstochter konnten bei weitem nicht befriedigt werden. Auf den andere Exportmärkten sah es ebenfalls nicht besser aus. Zwar wurden noch einige hundert Einheiten des Vespa400 nach Australien und Südafrika verkauft, aber die reichten nicht, um schwarze Zahlen zu schreiben.
  Als besonders launenhaft erwies sich der US-Markt, wo der Vespa400 zwar mit konventionellem Dreiganggetriebe, jedoch mit erstarktem Triebwerk (20 PS bei 4700 U/min) und Weißwandreifen offeriert wurde, während sich deutsche Kunden mit schlichten Pneus begnügen mußten. 1080 Dollar betrug der "port of entry price" in New York. Trotz einer zweijährigen Motorgarantie (oder 30.000 Meilen Fahrleistung), des günstigen Anschaffungspreises und eines erheblichen Werbeaufwandes vermochte sich der Vespa400 nicht auf amerikanischen Straßen zu etablieren und wurde allenfalls als "Mickey Mouse"-Car belächelt. Als kleinen Zweitwagen zogen die Amerikaner dann doch lieber den VW Käfer vor. 1961 stellte die ACMA ihre Kleinwagen- Produktion notgedrungen ein, nachdem zuvor in Frankreich auch die Vespa400 Version mit Vierganggetriebe nicht reüssierte. Der Vespa400 GT war ausschließlich für den französischen Markt gedacht. In Deutschland gab es nur das Modell mit Dreigangschaltung. Bis 1962 setzte das Werk in Fourchambault noch die Lizenz- Rollerfertigung fort, dann gingen endgültig die Lichter bei der ACMA aus. Die Fabrikhallen wurden von der Lkw-Schmiede UNIC übernommen. (Ulrich Kubisch, OLDTIMER-MARKT 7/94, S. 230 ff)

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